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Reaktion

Rettungsstelle
Vivantes
Klinikum
Neukölln

»Ich habe auch schon Räume mit Tape auf dem Fußboden abgeklebt, damit man sich eine gemeinsame Vorstellung von den Raumsituationen machen konnte. Abstimmung bedeutet mehr, als auf Pläne zu schauen.«
Barbara Schott, Projektleiterin
Heinle, Wischer und Partner
Freie Architekten

Am Ende eines herkömmlichen Entwurfs- und Gestaltungsprozesses steht die Nutzung durch die jeweiligen Zielgruppen. Dieses Top-Down-Prozedere führt in der Architektur oftmals zu nicht vorhergesehenen Problemen, die aus den Übersetzungslücken zwischen einem abstrakten Plan und einem Raum mit realen Limitationen entstehen. Gerade für Krankenhäuser, deren effiziente Nutzung sowohl für Ärzte und Pfleger als auch Patienten entscheidend ist, ist es sinnvoll, diese Übersetzungslücken zu minimieren. Ein Werkzeug, das sehr aufschlussreich ist, aber aufgrund des hohen Aufwands in der Architektur bislang eher selten genutzt wird, sind so genannte Mock-ups.

 

Für den Kopfbau des Vivantes Klinikums in Berlin-Neukölln wurden insgesamt sieben der zukünftigen Raumtypen in 1:1-Modellen getestet. In diesen Mock-ups können Architekten gemeinsam mit den Nutzergruppen Bewegungsabläufe simulieren, um Potentiale oder Unklarheiten in der Raumplanung festzustellen. Die Entwürfe werden entsprechend der Ergebnisse dieser Simulation evaluiert. Auf diese Weise entstehen moderne Gesundheitsarchitekturen, die die teils unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Nutzergruppen a priori ermitteln und optimal austarieren.

Kontext

Das erste Gebäude des heutigen Klinikums Neukölln wurde vor über 100 Jahren von dem Architekten Reinhold Kiel entworfen und 1909 als Kreiskrankenhaus für die damalige Stadt Rixdorf eröffnet. Im weiteren Verlauf der Geschichte wurde die Anlage um andere Funktionsgebäude ergänzt, bis 1986 ein neues, fünfgeschossiges Hauptgebäude entstand. Diesem Hauptgebäude soll nun ein Kopfbau vorangestellt werden, der das Gelände neu in den städtebaulichen Kontext einbindet und darüber hinaus neue Kapazitäten für zentrale Funktionen des Krankenhauses schafft.

 

Die ebenerdige Rettungsstelle kann direkt von den umliegenden Straßen angefahren werden. Aufgrund der Hanglage ist der Kopfbau nur indirekt, über die ersten beiden Obergeschosse, mit dem Bestandsgebäude verbunden. Dadurch fungiert die Rettungsstelle als eine von dem Hauptgebäude unabhängige, abgeschlossene Einheit. Diese Abgeschlossenheit ermöglicht die Implementierung zweier Zeitzonen im Klinikbetrieb: Das zügige Tempo einer Rettungsstelle und der ruhigere Rhythmus des Regelbetriebs.

Über die geschützte Vorzone betreten die Patienten den öffentlich zugänglichen Anmelde- und Wartebereich der Rettungsstelle.
Die Struktur der Untersuchungs- und Behandlungsräume ermöglicht schnelle Reaktionen auf das Patientenaufkommen.
Patienten mit Infektionsverdacht werden in einem separaten Bereich der Rettungsstelle versorgt. Im Fall einer Pandemie kann ein eigenständiger Isolierbereich abgetrennt werden.
Patienten mit Infektionsverdacht werden in einem separaten Bereich der Rettungsstelle versorgt. Im Fall einer Pandemie kann ein eigenständiger Isolierbereich abgetrennt werden.
»Die neue Rettungsstelle muss schnell auf unterschiedliche Kapazitätsanforderungen reagieren können – und zwar für jeweils begrenzte Zeiträume. Sie muss ein ›atmendes System‹ sein.«
Barbara Schott, Projektleiterin
Heinle, Wischer und Partner
Freie Architekten

Konzept

In einer Notaufnahme gibt es verschiedene Auslastungsphasen, deren kritische Punkte häufig mit Abenden, Feiertagen oder Wochenenden korrelieren, wohingegen der Bedarf in den Morgenstunden zwischen Montag und Freitag eher rückläufig ist. Der Entwurf für die neue Rettungsstelle im Vivantes Klinikum definiert darum einen Kernbereich, dem entsprechend des aktuellen Bedarfs so genannte »Holding-Areas« zugeschaltet werden können. Dieses elastische Modell hat den Vorteil, dass die Wege stets überschaubar bleiben, während man gleichzeitig flexibel auf höhere Kapazitätsanforderungen reagieren kann. Durch die Installation von »Holding-Räumen« haben Patienten darüber hinaus einen definierten Ort in Wartesituationen zwischen Behandlungen, anstatt sich wie sonst oft üblich in Transitzonen zu befinden. Die Struktur der Notaufnahme ermöglicht damit einerseits flexible Reaktionen und bietet den Patienten andererseits Schutz vor zu vielen Umgebungsreizen.

 

Die Teilbereiche der Notaufnahme sind so organisiert, dass die Wege auch im Fall einer hohen Auslastung kurz und effizient bleiben. Dafür wurden die unterschiedlichen Räume entsprechend ihrer Nutzungsabfolge angelegt und die Wege für ankommende Patienten getrennt. Neben der Unterscheidung zwischen liegendkranken und gehfähigen Patienten gibt es die Möglichkeit, den oberen Bereich der Rettungsstelle im Infektionsfall zu isolieren. Der dem Kopfbau vorgelagerte Bereich wird von verlängerten Außenwänden und einem schrägen Vordach geschützt. Bereits innerhalb dieses Bereiches wird die gezielte Allokation der ankommenden Patienten ermöglicht. Dieses systemische Nutzungskonzept ist wegweisend für die Organisation moderner Rettungsstellen, denn es ist dazu in der Lage, unverzüglich auf neue Situationen zu reagieren – auch im Falle einer Pandemie.